Liebe*r Abgeordnete*r,
im September 2014 waren viele Jungsozialistinnen und Jungsozialisten stolz. Das kommt eher selten vor, denn schon das Wörtchen ‘stolz’ finden wir in der Regel eher problematisch, als einen erstrebenswerten Gefühlszustand. Das Ungewöhnlichste an dieser plötzlichen Gefühlsregung aber war, dass sie durch einen SPD-Ministerpräsidenten ausgelöst wurde. Torsten Albig sprach vielen SPD-Mitgliedern und Jusos geradewegs aus der Seele, als er der Einstufung weiterer Länder als sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat nicht zustimmte. Er sagte: “Wir flüchten aus unserer Verantwortung mit diesem Kompromiss. Die Tinte, mit der dieser Kompromiss geschrieben wurde kommt geradewegs aus dem Gefrierschrank. Es lässt einen frieren.”
Dieser Satz traf auf den Kompromiss zu, der im September beschlossen wurde – und er gilt auch jetzt, wenn wir Jusos an das Asylpaket 2 denken. Es ist Teil der von uns seit Monaten scharf kritisierten Asylpolitik, die keine langen Fäden spinnt, sondern auf den Empörungswellen der Stammtische surft. Kaum kommt es zu einer Schlägerei in einer Unterkunft, einen Übergriff im Schwimmbad, einer Eskalation egal welcher Art, überbieten sich konservative und leider auch sozialdemokratische Verantwortungsträger/innen in neuen Verschärfungsforderungen.
Uns ist natürlich vollkommen klar, dass niemand es irgendwie gut heißen kann, wenn Frauen zu Opfern sexueller Gewalt werden oder Mobiliar in einer Erstaufnahmeeinrichtung kaputt geht. Aber es sollte doch ebenfalls sonnenklar sein, dass Verschärfungen des Asylrechts uns absolut gar nicht helfen, wenn es um die Integrationsarbeit hier vor Ort geht. Welcher syrische Junge wird sich im Schwimmbad anders verhalten, wenn der Familiennachzug begrenzt wird? Welche Afghanin, die nur spärlich vorwärts kommt im Integrationskurs, wird dort bessere Fortschritte machen, weil sie sich finanziell beteiligen muss?
Asyl ist ein Menschenrecht. Es gilt für alle Menschen, nicht nur für die, die wir nett finden.
Wir Jusos vermissen einen echten Plan, echte Investitionen in die gemeinsame Zukunft mit den Menschen die zu uns kommen. Uns ist nicht klar, wie die Begrenzung des Familiennachzugs auch nur entfernt dazu beitragen kann, dass Menschen hier ankommen, dass sie Teil unserer Gesellschaft werden. Was bedeutet denn ankommen und zu Hause fühlen anderes als zwischen vertrauten Menschen zu sein? Neue Vertraute kann man nur gewinnen, wenn man nicht von existenziellen Sorgen geplagt wird. Nicht zu wissen, wie es der eigenen Familie geht, dürfte wohl eine der existenziellsten Sorgen überhaupt sein.
Auch uns Jusos ist klar, dass die Europäische Union und damit auch Deutschland hinsichtlich der aktuellen Flüchtslingsbewegungen vor enormen Herausforderungen steht. Uns ist jedoch nicht klar, warum nicht einfach deutlich an die Bevölkerung kommuniziert wird: Ja, es kommen viele – sehr viele – Menschen zu uns. Ja, es werden auch noch mehr werden. Ja, wir müssen etwas gegen die Fluchtursachen tun, denn niemand flieht gern. Ja, das wird einige Jahre dauern. Ja, bis dahin müssen und sollten wir uns im Sinne unserer humanitären Verantwortung, im Sinne unseres Grundgesetzes darum kümmern, dass kein Mensch auf der Flucht stirbt, dass kein Kind seine Kindheit verpasst, kein Erwachsener vergisst wie es ist als Mensch ernst- und aufgenommen zu werden.
Auch wir Jusos wollen, dass alle sicher im Schwimmbad baden oder auf der Domplatte Silvester feiern. Dafür braucht es Kontakte, Sprachkurse, Chancen auf dem Arbeitsmarkt, den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum und vieles mehr. Auch dann wird es noch Geflüchtete geben, die sich echt daneben benehmen. Aber das ist genauso verwunderlich wie die Tatsache, dass es unsympathische Deutsche gibt.
Wir Jusos in Sachsen sind zutiefst entsetzt über den “Kompromiss” namens Asylpaket 2. Unsere Kritik richtet sich in erster Linie auf die Beschränkungen beim Familiennachzug und auf die Idee, nur um Stammtischparolen zu genügen, eine finanzielle Beteiligung an Integrationskursen von Geflüchteten einzufordern.
Unser Eindruck ist: Die Sozialdemokratie ist dem konservativen Stammtisch meilenweit entgegen gekommen. Die Sozialdemokratie verspielt damit das Vertrauen derjenigen, die jeden Tag für Integration und Inklusion von Geflüchteten kämpfen.
Wir Jusos haben Verständnis dafür, dass in einer Koalition auch Kompromisse geschmiedet werden müssen. Natürlich muss ab und an eine bittere Pille geschluckt werden, damit es wenigstens ein Stück vorwärts geht. Gerade im Bereich Integration und Asyl geht es aber nicht um verhandelbare Meinungsschnipsel, sondern um eine Haltung, die man entweder hat, oder nicht. Entweder man nimmt die Idee der offenen Gesellschaft, der Menschenrechte und der internationalen Solidarität ernst, oder man tut es nicht.
Wir bitten Dich deshalb, dem Asylpaket 2 nicht zu zustimmen.
Wir würden uns freuen von Dir bezüglich Deines Abstimmungsverhaltens zu lesen.
Solidarische Grüße,
Katharina