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+++ Blog +++ Das zerbrechliche Gut der Freiheit

Am 21. November 2015 führte uns die Gedenkstättenfahrt der Jusos Sachsen, mit Unterstützung des Rings Politischer Jugend Sachsen, nach Berlin-Hohenschönhausen. Dieser Ort ist, wie kaum ein anderer in Deutschland mit der 44 jährigen Geschichte politischer Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) verknüpft. Auf dem Gelände einer ehemaligen Großküche im Nordosten Berlins wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein sowjetisches Speziallager errichtet. Nach der Schließung des Lagers im Oktober 1946 entstand im Keller des Gebäudes das zentrale sowjetische Untersuchungsgefängnis für Ostdeutschland. 1951 übernahm das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) das Gefängnis, erweiterte es 1961 durch einen Neubau und nutzte es bis 1989 als zentrale Untersuchungshaftanstalt. Tausende politisch Verfolgte waren an diesem Ort inhaftiert, darunter fast alle bekannten DDR-Oppositionellen. Rund um die Haftanstalt waren zugleich die zentralen Diensteinheiten ansässig, die beim MfS für strafrechtliche Ermittlungen und Gefängnisse zuständig waren. Sie kontrollierten sämtliche Ermittlungsabteilungen und Untersuchungshaftanstalten in den 15 DDR-Bezirken und leiteten deren Arbeit an. Der Ort bildete eine Art Zentralstelle realsozialistischer Repression in Ostdeutschland.

Zu Beginn unseres Besuchs der Gedenkstätte schauten wir uns die Dauerausstellung mit dem Titel „Inhaftiert in Hohenschönhausen: Zeugnisse politischer Verfolgung 1945 bis 1989“ an. Im Mittelpunkt der Ausstellung standen die Erfahrungen der Opfer während ihrer Haft in Hohenschönhausen, welche mit seltenen Exponaten und historischen Fotos unterstrichen wurden, was uns den historischen Hintergrund des Ortes näher brachte.

Nach der Besichtigung der Ausstellung führte uns eine Zeitzeugin, die selber in dem Gefängnis inhaftiert war, über das Gelände. Sie erklärte uns neben den Funktionen der verschiedenen Räumlichkeiten der Haftanstalt, auch wie es dazu gekommen ist, dass sie in die Mühlen der politischen Justiz der DDR geriet. Durch eine Romanze mit einem Westbürger, welche zu dem Wunsch führte, die DDR über die damalige Tschechoslowakei zu verlassen, wurde sie der versuchten Republikflucht und der Teilhabe an einer konspirativen Gruppe (Menschenansammlungen ab drei Personen) angeklagt und zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Schlussendlich ist man ihr durch den Verrat eines angeblichen Freundes, welcher ihr bei der Vorbereitung zur Flucht helfen sollte, sich aber im Nachhinein als inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatsicherheit herausstellte, auf die Schliche gekommen. Sie wurde direkt am Bahnhof in Prag durch Hilfe des IM verhaftet und nach Berlin-Hohenschönhausen gebracht, kurz bevor sie die Reise in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) gemeinsam mit ihrem Freund antreten konnte. Dies zeigte mir, dass allein der Wunsch nach Freiheit aus der Sicht der DDR ein Verbrechen war.

Aufgrund unserer kleinen Gruppe und vielleicht auch der mit der Zeitzeugin gemeinsamen sächsischen Herkunft, war es uns möglich sehr viele, auch persönliche Fragen zu stellen. Fragen zum alltäglichen Leben und den Repressalien im Gefängnis. Fragen zu den psychologischen Tricks während der Verhöre oder zu den persönlichen Schlussfolgerungen über das System und den Anhängern der DDR.

Für mich war die Besichtigung der Gedenkstätte mit sehr intensiven und augenöffnenden Momenten verbunden, die sich perfekt in diesen verregneten Novembertag einfügten. Die Haftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen und vor allem die damit verbundenen Erlebnisse und Erinnerungen der Zeitzeugin zeigte mir, wie wichtig die Freiheit, ob nun die körperliche oder die der Meinung, ist. 

Trotz alledem, dass ich jetzt den Luxus habe in einem demokratischen System leben zu können, sollte man nicht vergessen, was für ein zerbrechliches Gut die Freiheit ist. Auch Deutschland hat noch Defizite durch Akteure, die die Freiheit, ob nun unter dem Deckmantel der Sicherheit oder anderer Beweggründe, einschränken wollen. Es muss deshalb unsere verpflichtende Aufgabe sein unter demokratischen Gesichtspunkten für die Freiheit zu kämpfen und sie zu erhalten. 

Dass die Freiheit auch mit Dingen wie der Akzeptanz von aus persönlicher Sicht unangenehmen Meinungen einhergeht, muss dahingehend verkraftet werden, sofern die Freiheit und die Unversehrtheit von anderen nicht eingeschränkt wird. Die Qualität eines Staates zeigt sich immer wie er mit Schwächeren und auch Andersdenkenden umgeht.

Ich persönlich möchte niemals in einem Land leben, in dem ich allein schon durch einen falschen Zungenschlag in die Gefahr komme, in meiner persönlichen Freiheit eingeschränkt zu werden.

Martin Holtke, 27. November 2015